Starres Entsetzen, Tränen und diese nach Fassung ringende Hilflosigkeit, die den Kontakt meist für immer verändert oder gar abbrechen lässt: Viele Male hat Jana Buchbauer diese Reaktionen bei ihrem Gegenüber erlebt, wenn sie über ihre Krankheit gesprochen hat. Sie sind der Grund, warum die 27-Jährige ihr Leiden über Jahre nicht öffentlich gemacht hat. "Ich wollte weder Mitleid, noch von meinen Freunden und Bekannten als Todeskandidatin eingestuft werden", sagt sie rückblickend.
Große Ausnahme
"Krebs" ist das Wort, das bei Jana Buchbauers Umfeld immer wieder Schockstarre auslöst. Seit dem Säuglingsalter leidet die Passauerin an einem Gehirntumor, der operativ nicht vollständig entfernbar ist. Das sogenannte pilozytische Astrozytom hat bereits in den Wirbelkanal abgetropft. Dort fordern nicht nur die Metastasen mit den bereits ausgebildeten Zysten Raum, sondern auch die zusätzlich bestehende Höhlenbildung im Rückenmark. Ob diese Problematik für die Verkrümmung der Wirbelsäule verantwortlich ist, konnte bisher nicht geklärt werden. Nachdem das Nervenwasser aus dem Kopf nicht mehr abfließen konnte, musste ein künstlicher Abfluss gelegt werden. In Folge des hohen Drucks entwickelte sich eine starke Sehminderung auf beiden Augen. Da man der quirligen jungen Frau ihre schwere Krankheit kaum ansieht, haben auch die Professoren und Kommilitonen lange nichts gemerkt. Jana Buchbauer studiert im dritten Master-Semester Informatik an der Universität Passau - für eine Patientin mit einem Hirntumor dieses Ausmaßes wohl eine absolute Ausnahme. Vielleicht ist sie sogar die Einzige, die ein Universitätsstudium aufgenommen hat, denn bislang hat sie trotz intensiver Recherche keinen Vergleichsfall gefunden. Als das BAföG-Amt ihr zusätzliche Unterstützung über die Regelstudienzeit hinaus verweigert hat, suchte sie nach weiteren Betroffenen. "Ich habe mir damals gedacht: Ich habe die Kraft, zu kämpfen, also mache ich das auch für andere", sagt sie.
Lebenswille
Den Kampfgeist und den ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hat sie von ihrer Mutter vorgelebt bekommen. Sie hat sich immer dafür eingesetzt, dass ihre Tochter so normal wie möglich aufwachsen konnte. Zwar haben ihr die ärzte von Anfang an geraten, jede Form von Stress so weit wie möglich von dem kranken Kind fernzuhalten. "Aber sie hat sich immer an meinen Bedürfnissen orientiert und mir gezeigt, für was es sich zu leben lohnt. " Das war für Jana Buchbauer zum Beispiel von Anfang an auch die Schule. "Es hat mir große Freude bereitet, erst in die Grundschule und später mit meinen Freunden zusammen aufs Gymnasium zu gehen."
Dramatischer Rückfall
Nach ihrer ersten großen Operation im Alter von nicht einmal zwei Jahren galt sie fünf Jahre später als geheilt. Dass sich diese medizinische Prognose als fataler Fehler erweisen würde, ahnte ihre Mutter bereits vor der ärztlichen Feststellung. Müdigkeit, Schwäche sowie das temporäre Versagen von Sinnen und Körperfunktionen schürten den schrecklichen Verdacht. Bei den Medizinern stieß die engagierte Mutter jedoch auf taube Ohren. Erst ein Unfall auf einer Sommerrodelbahn bewies, dass sie richtig gelegen hatte: Der Tumor war nicht nur zurück, er war unbemerkt auf eine lebensbedrohliche Größe angewachsen. Zudem war der Abfluss des Nervenwassers vom Kopf ins Rückenmark blockiert. Durch den enormen Druck im Schädel waren bereits die Sehnerven geschädigt worden. Der Zustand der jungen Patientin war derart dramatisch, dass es sogar ungewiss war, ob sie den Transport in das Uniklinikum Regensburg überhaupt überleben würde.
Ehrgeiz und Kampfgeist
Viele Tage lang kämpfte sich die damals Zwölfjährige zurück ins Leben, während ihre Mutter fast jede Sekunde am Krankenbett saß. Nach mehreren Operationen war ihr Zustand zwar stabil, aber die ärzte rieten dringend dazu, das Kind vom Gymnasium zu nehmen. Dass sich ihre Mutter dagegen entschieden hat, rechnet die Tochter ihr noch immer hoch an: "Sie hat gewusst, dass es für mich viel mehr Stress bedeutet hätte, aus meinem Umfeld gerissen zu werden", sagt die 27-Jährige heute. Außerdem war der Schülerin eine gute Bildung als Fundament für ihre Zukunft schon in jungen Jahren sehr wichtig. Bis kurz vor dem Abitur meisterte Jana Buchbauer ihren Weg problemlos. Um ihren Schulabschluss nicht zu gefährden, verschob sie sogar eine wichtige Operation zur Tumorverkleinerung um einige Wochen. Zu groß war die Angst, danach vielleicht nie wieder am Schulleben teilhaben zu können. Bei den regelmäßigen Untersuchungen, die ihr immer wieder schmerzhaft ihre Rolle als lebenslange Patientin vor Augen führten, bezweifelten die ärzte ihre Zukunftspläne. Die Annahme, dass eine akademische Ausbildung für eine Tumorpatientin vielleicht unmöglich war, machte Jana Buchbauer nachdenklich - und spornte zugleich ihren Ehrgeiz an.
Mentale Krise
Da ihr jahrelanger Traum vom Jurastudium an der Studienplatzvergabe scheiterte, konzentrierte sie sich auf einen weiteren großen Interessensschwerpunkt: Computer. Erst die Probleme mit dem BAföG-Amt bremsten gegen Ende des Bachelorstudiums ihren unbändigen Enthusiasmus. "Ich habe damals wochenlang sämtliche Behörden und Institutionen abtelefoniert, aber niemand konnte mir helfen", sagt sie. Der Kredit, den die junge Studentin zur Finanzierung ihres Abschlusses aufnehmen musste, stürzte sie in eine mentale Krise: "Die psychische Belastung war enorm. Ich hatte Angst, dass ich das Geld je nach meiner gesundheitlichen Situation vielleicht nie zurückzahlen könnte." Zwischenzeitlich musste sie sogar ihre gerade begonnene Bachelorarbeit abbrechen. Erst die finanzielle Unterstützung ihrer Mutter und Oma ermöglichte es der Studentin, ihre Arbeit und damit auch ihr Bachelorstudium erfolgreich abzuschließen.
Kraftquelle
Der enge Zusammenhalt zwischen Mutter, Großmutter und den vier jüngeren Geschwistern ist für Jana Buchbauer noch immer die größte Kraftquelle. Sie hilft ihr auch, damit umzugehen, dass der Vater nach der Scheidung der Eltern den Kontakt zur Familie mehr und mehr abgebrochen hat. "Die Belastung wurde ihm zu viel", erinnert sie sich. "Auf seine Unterstützung - gleich welcher Art - braucht niemand in der Familie zu hoffen. Das ist natürlich schmerzhaft, aber ich habe gelernt, es zu akzeptieren. Seitdem geht es mir besser." Schmerzlicher Verlust. Dass ihre restliche Familie von der zerstörerischen Jahrhundertflut im vergangenen Jahr räumlich auseinandergerissen wurde, ist für die 27-Jährige ein weiterer Schicksalsschlag, den sie noch nicht überwunden hat. Das Wasser zerstörte nicht nur ihr Elternhaus, sondern auch sämtliche Erinnerungen wie Briefe und Fotos, aber auch Studienunterlagen und ihre liebevoll aufgebaute Bibliothek.
Gesundheitlicher Rückschlag
"Dass unsere Familie nun auf verschiedene Wohnungen verteilt ist, haben wir uns alle nicht gewünscht", sagt sie. Täglichen Kontakt hat die Studentin, die inzwischen mit zwei Wellensittichen und einem Papagei in einer kleinen Wohnung lebt, zu ihrer Mutter und den Geschwistern noch immer. "In all den Jahren und auch heute noch habe ich bei ihnen jederzeit Rückhalt und Unterstützung gefunden. Dieses Wissen gibt mir Kraft", sagt Jana Buchbauer. Die braucht sie auch, um die Angst vor der Zukunft zu tragen. Im vorigen Jahr hat sie die Diagnose erhalten, dass die Metastasen im Rückenmark nach jahrelangem Stillstand wieder gewachsen sind und mit den ausgebildeten Zysten zunehmend Raum im Wirbelkanal fordern. Es ist zu befürchten, dass die Nervenbahnen im Rückenmarkskanal durch den möglichen Druck vielleicht für immer geschädigt werden. Auch ihr Sehvermögen lässt rapide nach. In der Niere und an der Hirnrinde haben sich Zysten gebildet. In absehbarer Zeit macht der Tumor im Kopf eine erneute Operation nötig. Trotz des erschreckenden Befundes hat sich die selbstbewusste junge Frau gegen einen Eingriff an der Wirbelsäule entschieden. Die Gefahr, danach im Rollstuhl zu sitzen, ist ihr zu hoch. "Vielleicht lande ich irgendwann dort", sagt sie sehr reflektiert. "Aber bis dahin möchte ich meine Zeit nutzen."
Voller Optimismus
Pläne hat Jana Buchbauer nämlich jede Menge. Nach dem Ende ihres Informatikstudiums möchte sie ihre Jurakenntnisse fundieren, den Doktor machen und die Welt bereisen. Auch wenn sie ab und zu mutlose Momente überkommen, blickt sie voll Optimismus nach vorne: "Ich kann nicht leugnen, dass ich mir übers Sterben genauso viele Gedanken mache wie über meine Zukunft. Aber ich bin ganz sicher, dass es sie gibt und dass sie nicht nur von Krankheit erfüllt sein wird."
Selbstbestimmtes Leben
Jana Buchbauer hofft, dass sie anderen Betroffenen ein Vorbild sein kann, ihr Leben so normal und aktiv wie möglich zu gestalten. "Ich würde mir wünschen, dass in Zukunft viele Krebspatienten den Mut finden, öffentlich über ihre Erfahrungen zu sprechen. Denn darüber, welchen Herausforderungen sie sich stellen mussten und wie sie diese gemeistert haben, bewahren sie oft Stillschweigen", hat sie beobachtet. "Auf diese Weise kann es gelingen, dieser Diagnose etwas von ihrem Schrecken zu nehmen und Neuerkrankte auf dem Weg zu einer selbstbestimmten Lebensführung zu unterstützen." Ein Zitat, das ihr selbst immer viel Kraft gegeben hat, stammt von dem Mediziner Alexis Carrel, einem Pionier auf dem Gebiet der Transplantation: "Es kommt nicht darauf an, dem Leben mehr Jahre zu geben, sondern den Jahren mehr Leben."